Projekt Nr. 20
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Der Zeichnungsgenerator – Gespräch: Gabriele Mackert / H. Kater
Sylvester 2001/2002, Wien
Teil 2
Teil  1  2  3  4
Material:
- Ausstellungskonzept
- Rundgang durch die Ausstellung
- Die Räume von Hannes Kater
Gespräche zur Ausstellung:
Bjørn Melhus (2. Künstler)
Diana Dietz (Assistenz)
Silke Boerma (Kuratorin)
Armin Chozinski (Helfer)
Gabriele Mackert (Autorin)
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Zeichen –
und was
man mit
und von
ihnen will

H: Ähm, und was mich da interessiert an diesem Text und deswegen bin ich auch höchstwahrscheinlich etwas verzweifelt auf das Handeln gekommen, in dem Gespräch was vorher da war, dass für mich also diese Ebene, über die du da geschrieben hast, nämlich des Zeichenschaffens und des daran Scheiterns und an historische Verweise, dass das ein schon sehr wichtiger Aspekt ist, aber eigentlich mir momentan so mehr durch den Kopf geht, wie man eigentlich dazu kommt, dass man so was macht. Also weshalb entwickelt man so was oder wie sind die Sehnsüchte da, so was zu entwickeln.

G: Was wird entwickelt?

H: So eine Art “Zeichensprache”.

G: Mhm, mhm.

H: Und ähm, also ich würde das für mich nie offiziell “Zeichensprache” nennen, ich mache das jetzt nur mal für eine Verkürzung, nenne ich das jetzt mal “Zeichensprache”.

G: Auch das, also, ich meine, ich war ja froh über diesen Katalog “patterns of life”, was du mir ja jetzt gegeben hast, weil ich ja mit diesem “signs of the times” und diesem Piktogrammausstellungs-(?), mit dieser Idee oder mit dem Bildsprachenproblem, was ich gern in einer thematischen Ausstellung mal gemacht hätte, bislang ja immer irgendwie die These auch vertreten habe, die in dem Sinne niemand so hundertprozentig nachvollziehen wollte, dass die eben auch so eine Art von ready-made(s) sind. Das System, an das man Dinge delegieren kann und Hüllen, derer man sich bedienen kann, die jenseits eines persönlichen Duktus liegen, bzw. auf einer anderen Ebene das thematisieren, weil sie an sich schon so modellhaft sind.

H: Ja.

G: Und in diesem “patterns of life” steht ja auch unter anderem drin, dass diese Dinge herangezogen werden zur Identitätsbildung. Dass es eigentlich eine Arbeit an der Biografie ist und deswegen da so verknüpft wird.

H: Was meiner Meinung nach in den ausgewählten Arbeiten aber fast nicht deutlich oder eingelöst wird.

G: Genau, das wollte ich gerade sagen. Also, ich sehe das nicht in den Arbeiten, die drin sind, aber ich kann diese Argumentation gut verstehen. Wobei ich nicht so sehr jetzt auf diesen biografischen Aspekt gehen würde, sondern den als eine Möglichkeit davon sehe, sondern halt sehe, dass die Ausdrucksmöglichkeit über standardisierte Verfahren eine sehr produktive Situation bildet, ...

H: Uhuhu.

G: ... ähnlich wie z.B. bei automatisierten Schreibregeln oder bei
*  Das Akronym Oulipo kommt
von L' Ouvroir de Littérature
Potentielle
(franz. "Werkstatt
für Potentielle Literatur").
   Das Ziel von Oulipo ist die "Spracherweiterung durch for-
male Zwänge", also durch
kreative Beschränkung. Durch
das Vermeiden bestimmter
und bekannter Formen, kön-
nen und müssen neue Formen
gefunden werden, bzw. erge-
ben sich von ganz allein.
   Oulipo wurde 1960 von Fran-
çois Le Lionnais und Raymond
Queneau gegründet. Einige Mit-
glieder: Georges Perec, Harry
Mathews, Italo Calvino, Oskar
Pastior und Marcel Duchamp.


diesen Leuten, diese Oulipo-Geschichte* mit, weißt du?

H: Ja, also ungefähr ist das jetzt das, worauf ich eigentlich u.a. auch hinaus will, wenn ich mit dir rede, nämlich dass ich sagen würde, dass man sozusagen eine Sprache nach innen und eine Sprache nach außen entwickeln kann, wobei “Sprache” dann nicht das richtige Wort wäre, sondern ähm… hast du nicht eben auch “Regeln” benutzt? Das Wort “Regeln”?

G: “Regelungssystem”.

H: Ja, Regelungssystem. Also dass man so ein System entwickeln kann auch einfach, also da kommt man nämlich dann wieder, würde ich wieder auf das Handeln kommen wollen, dass man also einfach sich Handlungsregeln entwickelt. Also dass “Zeichensprache” dann für so ein System erstmal ein fragwürdiger Begriff ist, weil es nicht wirklich sich nach außen als Sprache richtet, sondern erstmal als System nach innen. Also eine Struktur als Möglichkeit zu handeln und daran vielleicht auch etwas zu erfahren oder was zu spiegeln, eine Art Gegenpart, Widerpart und damit man also erstens handlungsfähig wird und auch bleibt, und zweitens, also dieser Begriff von “patterns of life” war ja “Identität” oder “Biografie” und man schreibt schon ein Stück weit oder man zeichnet oder man macht schon ein Stück weit an seiner Biografie rum, aber nicht im Sinne von “Biografie”, das ist nochmal eine andere Ebene. Und das, all das, also diese Außenwirkung, ob das nun “Ornament” oder “Zeichensprache” oder “pattern” oder “Malerei” oder “Zeichnung” oder sonstwas ist, wird erst an zweiter Stelle reflektiert und führt dann zu Korrekturen oder Formfindung und man lässt sich auf was ein oder nicht, aber der eigentliche Impuls ist, glaube ich, ein anderer. Nämlich der, der nach innen geht. Und nicht der, der nach außen geht und deswegen ist die Bezeichnung “Sprache” tendenziell falsch. Und “Ornament” trifft es auch nicht.

G: Ich würde zwei Dinge da sagen wollen. Zum einen wird dieses System, glaube ich, dann aufgefasst wie eine Aufgabe.

H: Nee, also die Aufgabe ist mehr wie die Spielregeln. Man entscheidet, man spielt. Also die Aufgabe stellt man sich dann immer noch selber. Aber die Spielregeln, das ist dann das, worum es geht.

G: Ja eben, aber die kommen einem ja zurück dann als Aufgabe.

H: Für mich ist Aufgabe was, was dir den eigentlichen Impuls, was zu tun, abnimmt. Jemand kommt und sagt, tue das, das ist deine Aufgabe. Und das ist aber nicht richtig, sondern richtig wäre in dem Beispiel, du machst was, du läufst los und jemand sagt stop, junger Mann, du kommst nur weiter, wenn du drei mal einen Handstand machst und dann machst du drei mal einen Handstand und gehst dann weiter, aber du hast schon den Impuls, loszugehen. Weißt du?

G: Mhm. Also, ich bin mit Systembegriffen jetzt nicht so sattelfest, aber ich glaube, dass es schon darum geht, dass die Handlungsmöglichkeiten dadurch auf eine Dimension zurechtgerückt werden, die überhaupt einen handlungsfähig macht.

H: Ein Stück weit, ja.

G: Weil das Abgleichen mit diesen Regeln oder mit diesem System eine Herausforderung darstellt, die meisterbar ist. Und das andere, denke ich, dass dieses System einfach immer eine Ordnung vorgibt, mit der man sich auseinandersetzen kann und die man interpretieren kann und das ein grundlegend anderer Vorgang ist als das von der anderen Seite her anzugehen und die Ordnung an sich, neu zu erfinden. Wobei ich immer glaube, dass das gar nicht möglich ist.

H: Was ich meine ist, dass… Wenn ich dich richtig verstanden habe, man konstruiert sich was, damit Handeln erst möglich wird, so ungefähr hast du das eben gesagt, ne?

G: Nein, nicht man konstruiert sich was, sondern man akzeptiert… man selbst trifft schon eine Auswahl, das stimmt schon, aber in dieser Auswahl akzeptiert man Vorgaben und das sehr, sehr willentlich, damit man dieses Gegenüber hat zum Systemabgleich, sozusagen.


"Handeln", 
handeln
und Per-
formance
H: Also ich würde das tendenziell noch offensiver formulieren, ich würde sagen, dass so eine Form von Arbeiten in erster Linie “Handeln” ist und “Handeln” meint und “Handeln” thematisiert und dann erst Kunst oder irgendwie was anderes. Also es befähigt einen nicht nur zu handeln, sondern das ist Handeln. Es ist eigentlich ein Stück weit… es ist “Performance”…

G: Naja, in dem Sinne, was du meinst, ist Ordnung herstellen gleich handeln.

H: Ja, also ein Stück weit ist das eine Performance mit einem Endergebnis, was aussieht wie eine Zeichnung. Oder es ist performatorisch ein Stück weit. Also der Grundimpuls in dem ganzen Ding ist, glaube ich, schon der.

G: Ja nur, da sind wir ja wieder jetzt, was wir vorhin schon mal hatten, bei Wittgenstein und den Sprachspielen und so. Das sind ja genau die Begriffe, die er mit aufgebracht hat in dieser späteren Phase, wo man eben weggeht von der Absolutheit des Systems hin zur Aktualisierung. Aber das Handeln, ich meine, das ist wahrscheinlich schon der Unterschied zum Theater, dass es dann doch ein Standbild ist, am Schluss, in deinem Werk z.B.

H: Ja. Das ist ja sozusagen, ähm, das ist ein Problem.

G: Nee, das ist kein Problem, weil das das Los jedes Handelns als Produktionsvorgang ist.

H: Ja der Theaterschauspieler, da ist zum Schluss die Vorstellung vorbei und dann ist gut.

G: Das ist der Unterschied zwischen in der Zeit ablaufenden Künsten und einem feststehenden Werk in dem Sinne.

H: Ja, aber der Witz ist natürlich der, dass so eine Zeichnung auch ein Stück weit auch eine Aufführung ist, also mit einem Anfang und einem Aufhören zumindest.

G: Naja, es ist ein Dokument in dem Sinne und darauf willst du hinaus.

H: Wenn das, was da passiert, wenn das eine Handlung ist und man sozusagen Regeln folgt und Eingaben folgt, die sozusagen man verinnerlicht hat, dann ist das eine Art Aufführung. Man könnte das auch wie ein Bienentanz machen. Der Witz ist nur der, dass zum Schluss ist eine Zeichnung da, also man könnte es auch mit Tinten machen, die irgendwann wieder weg sind, verblassen oder so… oder das Blatt verbrennen – aber das wäre dann eine Hilfskonstruktion. Und in dem Sinne ist es eine Art Performance oder Aufführung, auf eine ganz platte Art.

G: Na klar!

H: Und das ist ja auch ganz legitim. Jeder , der ein Bild malt, performt eigentlich, auch. Das einzige, was ich sage, ist, dass beim Bild sozusagen… also nicht, dass man wieder auf “der Weg ist das Ziel” kommt… aber beim Bild geht`s nachher darum, es soll ein Stilleben sein oder ein Portrait oder Farbfilter, keine Ahnung, man hat eine Idee oder man entwickelt während des Prozesses eine Idee, egal, aber es soll nachher ein Bild rauskommen. Und wenn die Maler dann älter werden, sagen sie, sie haben richtig Entzugserscheinungen, wenn sie nicht malen, weil sie dieses Handeln… also am Anfang, am Anfang des Studiums, häh, ich geh`in`s Atelier, mir fällt nix ein und so… und irgendwann im Laufe deines Lebens hast du ein Handeln derart verinnerlicht, dass es dir fehlt! Du hast eine Gewohnheit, es ist dir Gewohnheit geworden, es ist eine bestimmte Motorik, ein bestimmtes Tun, so wie du dich unwohl fühlst, wenn du morgens nicht die Zähne putzt oder so. Also wo einfach, ähm… also ich habe einen älteren Maler mal gesprochen vor ein paar Jahren, der keine besonders guten Bilder malt, meiner Meinung nach, ich darf nicht sagen, wer das ist, weil sonst ist er sauer, der meinte, er ist froh, wenn er wieder aus dem Urlaub zurück ist, weil dann kann er endlich wieder malen, und zwar weil er einfach sich körperlich nicht wohl fühlt, wenn er es nicht tut. Also, es ist eine Gewohnheit. Dann habe ich ihn gefragt, ja und wie war das als du jung warst? Ja, da hat er sich zu zwingen müssen. Oder motivieren müssen oder so. Und dann wird es wirklich ein Handeln, was sozusagen ritualisiert ist. Und eigentlich spricht ein Stück weit, glaube ich, meines Arbeitseinsatzes –den andere Leute auch haben- ist auch die Sehnsucht nach so einer Form, nach so einer Lebensqualität, die da in so was steckt.

G: Ja, aber das ist ja…

H: Ich finde, wir gehen jetzt Sylvester feiern, das ist gerade nicht besonders erquicklich hier das Gespräch.

G: Nein, das ist schon erquicklich, zumindest möchte ich das eine noch sagen, dass das halt zum einem insgesamt der Wunsch einer jeden Lebensbewältigung ist, dass es so was gibt. Und im prinzip aus den Worten oder das, was du jetzt gerade formulierst, wieder das herausspricht, dass das Künstlersein sozusagen eben die spezielle, elitäre, nobilitierte, ganz bewusste…

H: Das hat nicht so viel mit Bewusstsein zu tun.

G: Art und Weise der Lebensführung ist – doch!

H: Das fände ich vermessen.

G: Doch, weil nämlich darin steckt, dass in dem Künstlertum diese Freiheit steckt, sich das Ritual, wie das passiert selbst definiert.

H: Ja aber jeder Mönch, der vierzig Jahre lang bestimmte Rituale und Meditationen oder Gebete gemacht hat, hat sich das auch gewählt und der fühlt sich nicht wohl, wenn er das dann irgendwie nicht mehr machen kann. Der will das ja wieder machen…

G: Schon, aber der Unterschied ist, dass… beim Künstlertum das Individuelle…

H: Das ist nicht individuell!

G: Natürlich nicht, aber unter dem Vorzeichen passiert das.

H: Ja aber , dafür kann ich doch nichts oder alle anderen sogenannten Künstler können doch dafür auch nichts, dass das unter diesem Vorzeichen passiert, das ist ein gesellschaftlicher Irrtum!

G: Nein, das ist kein gesellschaftlicher Irrtum, weil da ein fundamentaler Unterschied ist, ob ich die Gebete übernehme, die seit dreihundert Jahren von der Kirche vorgeschrieben sind, die mir auch vorschreibt, ob die lateinisch, griechisch oder sonstwas irgendwie zu sein haben, oder wenn ich mir das aussuche.

H: Meinst du?

G: Na klar!

H: Aber die Gebete sucht man sich doch auch aus. Eigentlich. Also wenn sie dir nicht passen, wechselst du die Religion oder es gibt doch tausend Gebete, die man sprechen kann, oder? Ich kenne mich da nicht so aus, aber…

G: Das ist doch ritualisiert an welchen Tagen du was liest.

H: Es gibt so die Rahmengeschichten wie Rosenkranz oder Vaterunser und Amen. Ich habe irgendwie nur zwei, drei Tanten, die irgendwie so ein bißchen religiös sind, so wie die mir vom Beten berichten, sagen die sie sprechen mit Gott und sie sagen, also dann bete ich für das und für dich und sagen halt so sie beten auch manchmal für mich. Dann sage ich Danke!, Das freut mich, ist bestimmt nicht schlecht. Und sie machen das in ihrer Sprache. Und dann haben sie natürlich noch die ritualisierten Gebete und die Gesänge oder so, aber das eigentliche Gebet, also wo sie selbst mit Gott reden dann ist ihre Sprache. So wie ich das verstehe. Also, und das andere ist ja nur, wenn du eine Sünde getan hast, dann musst du, glaube ich, ein Vaterunser beten, oder? Nicht? Ich kenne mich da nicht so aus…

G: Ich glaube, wir müssen jetzt nicht in die Grundsätze der Religionspraktiken gehen, die sich bestimmt unterscheiden zwischen Laien und professionellen Ordensangehörigen oder so.

H: Okay, ja.

G: Aber es ist schon ein ganz anderes Paradigma, unter dem das…

H: Aber es wird überschätzt. Also zum einen ist es ja auch da, wenn man das vergleicht wiederum, wenn man sagt, es gibt Künstler, die machen irgendwas, und es gibt Künstler, die stecken sich so einen Rahmen. Dann kann man ja auch wieder sagen: schön blöd, wenn sie cleverer gewesen wären, dann hätten sie ja den Rahmen neben können, den die Kirche ihnen schon vorgegeben hat, dann wäre es ja noch einfacher! Damit hat man ja noch klarer ein Gegenüber auch und ist aufgehoben und von sich selbst entlastet oder wie man das auch immer sagen und nennen mag. Also, es ist zum einen nicht unbedingt zwingend ein Privileg…

G: Ja, aber das ist natürlich im Künstlertum nur das Halbe! Halb sich von sich selbst zu entlasten.

H: (schnaub) Ja, ich meine, es gibt natürlich auch Künstler, die behaupten, sie entlasten sich gar nicht, sondern Jedes ist neu und mächtig, gewaltig und kreativ, aber ich würde das zum einen nicht zwingend als Privileg bezeichnen, sondern eher als leider scheinbar notwendige Notlösung. Kleiner Exkurs: ich habe neulich ein Interview oder so eine in Gesprächsform widergegebene Geschichte mit Harald Schmidt gelesen, dem Entertainer, und da wurde so beschrieben als er über seinen Vater redete, der war irgendwie so Beamter und der Interviewer meinte, der Schmidt hätte über seinen Vater geredet und gesagt, er sei “normal” gewesen und in diesem “normal” würde all der Ekel mitschwingen über all die sogenannten “nicht Normalen”, auch über sich selbst und zwar ernsthaft. Und das glaube ich auch, also das klang in diesem Text sehr überzeugend.

G: Und was heißt das in dem Zusammenhang?

H: Dass “Normalsein”, sein Leben leben in so einer Form Beamter sein, Familie haben, Vater werden und so, das ist nicht schlecht! Sondern alles andere ist eigentlich die Notlösung. Und das einzige, was das legitimiert ist, dass das gesellschaftlich noch sinnvoll und produktiv wird, weil das halt als Kunst oder sonstwas rezipiert wird und den anderen dann in ihrer Normalität irgendwann zugute kommt, bzw, sie davon entlastet, “nicht normal” sein zu müssen.

G: Du verwischst gerade schon wieder verschiedenste Bereiche miteinander, das ist unglaublich schwierig mit dir zu reden, muss ich ehrlich sagen…

H: Ahja!

G: Weil du jetzt schon wieder gegeneinander stellst was normal ist und was nicht und dass ein Ritual nicht Normalität sein muss, argumentierst du gerade, oder?

H: Nein, worauf ich hinaus will, also ich hatte dich so verstanden, wenn du von Künstlertum redest und so, dass das irgendwie… dieses selbst entscheidend, also ich oder irgendjemand anders entscheidet sich, sein eigenes…

G: Das ist doch schon wieder ein Privileg z.B.

H: Ja, das sehe ich nicht so!

G: Auch sich diese Bürde aufzuerlegen, sich das selbst zu entscheiden, nicht gesellschaftliche Dinge so anzunehmen…

H: Nein, das ist kein Privileg.

G: ... und sich dem zu fügen …

H: Das ist eine Notlösung, das ist kein Privileg, das ist eine Notlösung. Also dass das überhaupt nötig ist, ist dich schon mal scheiße. Also du hast da einen ganz komischen Begriff von Freiheit.

G: Jetzt stop!

H: (lacht)

G: Also Freiheit bringt das auch mit! Dass man natürlich diese Notlösungen in dem Sinne braucht, aber man muss sie dann auch definieren.

H: Ja.

G: Weil, wenn man sie nicht definieren muss, dann ist das ein Stück weit, ähm… das kann man Unfreiheit nennen, wenn du willst, aber…


Selig sind...
H: Darf ich noch mal was ganz Schlimmes sagen? Und dann ist, glaube ich, auch gut. Also dieses Beispiel “selig sind die geistig Armen”, ich glaube das meint in dem Kontext jetzt, übersetze ich das einfach mal, wirklich frei sind die Leute, die nicht über Freiheit nachdenken. Das können auch Sklaven sein, die sind trotzdem frei solange sie über Freiheit nicht nachdenken. Und sobald du anfängst über so einen Quatsch nachzudenken, ist es eh eigentlich vorbei. Also es ist jetzt sehr auf einer ganz komischen Ebene, aber ich kann es, man kann es ganz bewusst(?) einsetzen, ähm…

G: Das ist aber schon wieder jetzt eine ganz andere Ebene, auf der du sprichst.

H: Ja! Also ich glaube, ich bin auch wirklich für cut. Ich glaube das eigentliche Gespräch hat vorher stattgefunden über das eine Thema Ausstellen, ich glaube das war sehr produktiv und es macht aber auch nichts, dass wir das nicht aufgezeichnet haben. Ich meine, das ist ja jetzt höchstwahrscheinlich mehr dein Thema, ich wollte eigentlich produktiv über dieses seltsame Phänomen dieser vermeintlichen Zeichensprache reden.

G: Ja da können wir gerne morgen weiterreden… Aber schau, der Unterschied ist doch, wenn man sich so ein System, um das noch mal aufzubringen – und da lassen wir jetzt Begriffe von Freiheit auch? nicht weg – , aber allein in der Möglichkeit zu sein, sich dieses System auszusuchen, ja, ein Bewusstsein zu haben und auch diesen Auftrag zu spüren… auf dieser Suche zu sein…

H: Aber, ich verstehe nicht, wie du das als Privileg siehst, zuallererst.

G: Naja, Privileg, als das, wie du vorhin von normal und nicht normal im Prinzip hart gesprochen hast, dann ist das natürlich ein Zustand des “nicht Normalen”.

H: Ja, und das ist doch kein Privileg! Wo ist da das Privileg?

G: Es ist insofern Privileg, als dass man davon ausgeht, dass das Normale das Öftere ist. Also ist das Privileg das Besondere und Andere.

H: Ich meine, wenn du als Mörder hingerichtet wirst, dann ist das auch eher die Ausnahme und damit ist es aber noch lange kein Privileg als Mörder hingerichtet zu werden, kein positives Privileg, das ist doch nicht toll! Also ich sehe das nicht.

G: Ich meine, ich sehe natürlich, dass du das jetzt auch irgendwie womöglich negativ siehst, weil diese Aufgabe wahrscheinlich auch sehr, sehr schmerzlich ist, das ist klar! Ich meine, es ist ja auch der Auftrag z.B…

H: Ich sehe es zumindest nicht als Privileg, also negativ sehe ich es vielleicht auch nicht, aber ich sehe es nicht als Privileg! Es ist eine Situation, die ist halt auch nicht besonders prima vielleicht, ähm… was kann ich noch sagen, also… ich springe jetzt wieder total, wirst dich wieder beschweren, aber früher war das ja so: die härteste Strafe, die du einem Menschen geben konntest, war die Verbannung. Das war schlimmer als wenn du totgeschlagen wurdest, die Drohung war größer. Die Todesstrafe ist erst in unserer Zeit schlimmer, das hat sich ja geändert im Laufe der Zeit. Und ich glaube, du stellst dir bestimmte Aufgaben nur, wenn du in bestimmten Bereichen verbannt worden bist. Also da liegt eine Form von Verbannung oder Ausschluss oder Separation oder so zugrunde, sonst stellst du bestimmte Fragen nicht! Also auch bestimmte Fragen der Körperlichkeit, bestimmte Fragen der Sexualität haben sich auch in erster Linie Schwule gestellt oder lesbische Menschen, weil die einfach genötigt waren, drüber nachzudenken. Wohingegen Leute, die normal waren, die reingefittet haben sozusagen, fit waren, die haben doch darüber nicht nachgedacht, die haben einfach gemacht. Und ich sage nicht, dass es schlechter oder besser ist, aber es ist kein Privileg!

G: Aber es ist aus der Sicht des 20.Jahrhunderts – und wir sind da wieder bei diesem Begriff des Individuums, den du ja überhaupt nicht magst – ist es ein Privileg. Aus dieser Argumentation heraus.

H: Es ist vielleicht eine Chance, aber ist eine Chance ein Privileg? Weiß ich nicht.

G: Na, ich würde es gar nicht als Chance bezeichnen, weil es eine Aufgabe ist genauso wie es nicht zu tun.

H: Für mich ist Privileg eine Auszeichnung, also positiv.

G: Aber in der Ideologie des 20.Jahrhunderts, die auf der Erfindung des Individuums oder der totalen Ausprägung…

H: (stöhn) Jetzt springst du aber, du springst von persönlich zur Ideologie des 20.Jahrhunderts, da muss man sich einigen, womit man argumentiert.

G: Nein, aber aus dieser Warte ist es natürlich ein Privileg und auch ein Fortschritt, diese Qual zu haben.

H: Ja, Qual ist mir schon fast zu dramatisch gesagt – Notwendigkeit. Ich meine, du wirst auf was gestoßen, was… also für mich klingt Qual zu melodramatisch, also das sehe ich nicht so…

G: Naja.

H: Egal.

G: Na wenn du davon sprichst, wie? Selig sind die im Kopf Minderbemittelten?

H: Selig sind die geistig Armen, das ist eine Luther-Übersetzung, glaube ich, in's Deutsche. Ich habe das dann nur übertragen …

G: Das heißt ja schon auch, dass irgendwie zu viel Bewusstsein irgendwie bloß Arbeit heißt.

H: Ich finde diesen Spruch ein bißchen sag-, äh, fragwürdig und der ist ja auch, wenn man den im Kontext sieht, ist der ja auch nicht unbedingt liebevoll gemeint. Ich habe den jetzt nur angeführt, um das sozusagen zu übersetzen mit: frei sind die, die gar nicht über Freiheit nachdenken… müssen oder können, weil sie diese Kategorie gar nicht haben. Und so eine Kategorie, so ein Denken nicht haben zu müssen, kann bedeuten, dass man von außen betrachtet wirklich komplett frei ist, es kann aber auch sein, dass du Sklave bist und denkst darüber nur keine Sekunde nach, dann bist du eigentlich rein theoretisch auch frei oder du weißt nicht, dass du nicht frei bist. Bzw. Müsste man darüber nachdenken, gibt es sozusagen ein Nichtbewußtsein über Freiheit, bedeutet das, dass man trotzdem unfrei sein kann, individuell, persönlich, also von außen betrachtet ja schon, aber… usw., aber das führt eigentlich zu nichts, so ein Ding. Das Einzige, was mich ein bißchen nervt, ist halt wirklich diese Privileg-Geschichte. Und das, was sich damit gemeinhin mit Kreativität und Künstlertum verbindet. Und ich meine aus diesem Genervtsein und das vielleicht auch nicht besonders geschickt und nicht besonders reflektiert gibt es ja auch z.B. den Begriff “Zeichnungsgenerator”, den ich ja manchmal benutze oder für Aspekte meiner Arbeit benutze, wo das ja negiert wird, also das Individuelle, das Kreative und so und das ist ja auch durchaus ernst gemeint.

G: Na klar, weil du das natürlich umwertest, diese Ideologie. Dem würde ich mich ja tendenziell sehr anschließen, weil es ja super anstrengend ist. Also ich kann ja schon verstehen, das, was du sagst irgendwie, selig die geistig Minderbemittelten oder wie heißt das noch?

H: (lacht ziemlich)

G: Weil ich nicht groß mir den Kopf drüber zerbrechen muss, ja! Es ist eine theoretische Überlegung von mir, aber womöglich sehnt man sich dort hinein, weil man vermeintlich denkt, das wäre dann doch leichter oder man würde sich dann nicht so quälen usw., von daher sehe ich schon, dass das von mir genannte Privileg eigentlich auch eine Bürde ist …

H: Okay.

G: ... das haben aber immer Privilegien auch, weil sie gleichzeitig eine Verpflichtung sind…

H: Ja gut, wenn du das soo siehst…

G: ... und eine Aufgabe.

H: Das ist ja sozusagen die ganz altmodische Definition, also der König ist eigentlich auch immer eine tragische Figur, weil er so viel tragen und verantworten muss.

G: Ja, der König in dem Sinne existiert dann als Individuum gar nicht, weil er nur eine gesellschaftliche Aufgabe ist, d.h. sein Privileg ist die totale Bürde, weil es ihn als Individuum total festschreibt. Und ähnliche Mechanismen funktionieren, denke ich, auch im Künstlertum. Deswegen spreche ich ja von dem Privileg gegenüber dem Normalen, Allgemeinen. Eine Auszeichnung hat immer auch mit einer Verantwortung zu tun.

H: Das ist aber nicht die Ideologie des 20.Jahrhunderts, die haben ja Auszeichnung als rein positiv, konsumfreudig, Hurra-Begriff.

G: Naja, das ist jetzt das späte 20.Jahrhundert, glaube ich, aber an sich ist das schon, weil es sehr viel mit dieser Verantwortung arbeitet…


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