Stand 07.10.2010
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Über Zeichnung

Ein Kommentar zu den ersten fünf Sätzen des Textes "Sprache der Zeichnung" von Michael Sauer in dem Katalogbuch "Je mehr ich zeichne – Zeichnung als Weltentwurf" [mehr hier] zu der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Siegen.
Jeder Satz von Sauer ist von mir nummeriert und im Original wiedergegeben. Jeweils danach kommt mein Formulierungsvorschlag für den entsprechenden Satz und notwendige Anmerkungen.


001. Zeichnen ist die einzige universelle Schrift und Sprache zugleich.

#001. Zeichnen ist eine universelle Methode Linien zu organisieren.
*

#001_1. Zeichnen ist NICHT Schrift (gemeint ist hier wohl statt "Zeichnen" "Zeichnung", sonst müsste es "schreiben" statt "Schrift" heißen. (Sonst stünde sozusagen folgendes da: "Schreiben ist die einzige Schrift")). Zeichnen ist NICHT Sprache (gemeint ist hier wohl "Zeichnung", sonst müsste es "sprechen" statt "Sprache" heißen. (Siehe Anmerkung zuvor.)). Um die Sinnlosigkeit dieser zwei Vergleiche zu illustrieren, bringe ich einen dritten: Zeichnen ist die einzige universelle Software... verglichen wird hier ein nichtlinear eindeutig zu lesendes Ordnungssystem von nicht eindeutigen Einträgen - die Zeichnung - mit linear lesbaren und mehr (Software) oder weniger (Schrift) eindeutigen Zeichen.

#001_2. Wer die "Sprache der Zeichnung" sagt, sollte einmal versuchen, mit Worten eine Ebene tiefer als "Sprache" zu operieren: etwa "Deutsch" oder "Russisch". Das würde dann so klingen: "Das Deutsch der Zeichnung"… Auch "Der Programmcode der Zeichnung" hört sich merkwürdig an. Bei solchen Versuchen wird deutlich, das "Sprache" hier sehr metaphorisch gemeint ist. Und zwar als die Beschreibung einer Information, eines Inhalts, einer Begrifflichkeit oder als eine Beschreibung davon etwas so festzuhalten (eben aufzuzeichnen), dass das "Eingeschriebene" – hier haben wir eine weitere, aber etwas bessere Metapher, weil die sich auf ein Zeichensystem bezieht – wieder, zumindest teilweise, decodierbar ist.

#001_3. Zeichnen ist – bis auf sehr seltene und hier vernachlässigbare Sonderfälle – keine Methode, irgendeine Sprache phonetisch aufzuzeichnen. (Eine klassische Methode ist die Phonographie, also eine Lautschrift wie unser Alphabet. Hier werden "Lautungen" aufgezeichnet, man kann diese Aufzeichnungen richtig vorlesen, ohne sie inhaltlich zu verstehen.) "Zeichnen" ist, wenn man nicht die Geräusche, die beim Machen von Linien entstehen als sprachliche Äußerungen interpretieren will, keine Methode, um als "Sprechen" interpretierbare Geräusche zu machen.

#001_4. Zeichnen ist in sofern universell, als das das Zeichnen – ab einer gewissen Bedeutungstiefe – überall nicht wirklich verstanden wird. Somit ist Zeichnen so universell wie ein Grunzen.

#001_5. Text kann Zeichnung sein, wie Zeichnung aussehen, in Zeichnungen auftauchen. Deswegen ist aber Zeichnung nicht Text.


002. Es gibt keine andere unmittelbare Darstellungsmethode, die international gleichermaßen tauglich wäre.

#002. Es gibt, neben der Zeichnung, viele andere Methoden, um etwas darzustellen – die Zeichnung bietet aber gegenüber diesen anderen Methoden (etwa Malerei, Fotografie, Text, Tanz, Theater, Film, Hörspiel) einige Vorteile, die wir später noch erläutern werden, bei vertretbaren Nachteilen.

#002_1. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen "universell" [siehe #001 und #001_4] und "international"? Die Sprache "Englisch" ist heutzutage "international" tauglich als Möglichkeit, sich über die notwendigsten alltäglichen Dinge auszutauschen. "Englisch" ist aber deshalb nicht "universell".


003. Sie [die Zeichnung] entsteht aus bildhaften Impulsen und bedarf keiner Planung oder einvernehmlicher Organisation.

#003. Die Zeichnung entsteht NICHT NUR aus bildhaften Impulsen, sondern kann sich auch motorischen Impulsen verdanken.

#003_1. Man kann so ziemlich alles ohne Planung und einvernehmlicher Organisation machen, das ist kein Privileg des Zeichnens...


004. Das Zeichnen materialisiert sich augenblicklich als Bild, man kann damit in Form und Inhalt unbegrenzt alles sagen, übersetzen und festhalten.

#004_1. "materialisiert"? "augenblicklich"? "Bild"?
   Um mit "Bild" anzufangen: es gibt ein "enges" und ein "offenes" "Bild"-Verständnis, nach dem engen ist eine "Zeichnung" kein "Bild", nach dem offenen ist eigentlich alles was wir sehen irgendwie ein Bild, bildhaft. Also ist der Hinweis darauf, dass die Zeichnung sich augenblicklich als "Bild" manifestiert, entweder falsch oder nicht notwendig.
Wenn man eine Linie macht, indem man Graphit, Tinte, Kreide oder sonst etwas mit einem Werkzeug auf einen Grund (Papier, Holz, Leinwand, Hauswand... eben einem Grund) aufbringt, oder aber in einen Grund kratzt oder ritzt, dann ist diese Linie sofort sichtbar, sonst würde man das Ergebnis nicht Linie nennen. (Von so Sonderfällen wie "unsichtbarer" Tinte sehen wir hier mal ab).
Über "materialisiert" was zu schreiben habe ich gerade keine Lust, wird eventuell nachgereicht.

#004_2 "[…] man kann [mit der Zeichnung] in Form und Inhalt unbegrenzt alles sagen, übersetzen und festhalten". Nein, kann man nicht. Was auch nicht besonders überraschend ist, weil man mit keiner Aufzeichnungstechnik "alles" festhalten kann. Und "übersetzen" – von wo nach wo? – schon gar nicht. Und "sagen" noch viel weniger.


005. Zeichnungen sind prinzipiell gültig, die individuelle und intellektuelle Auffassung von Zeichnungen entspricht jedoch dem Zeichner wie dem Betrachter jeweils persönlich.

#005_1. [uff… ] Etwas ist "prinzipiell gültig"?
Mein – skizzenhafter – Vorschlag für Satz 005:
#005. Zeichnungen sind. Jeder sieht sie so wie er kann und will.

Eine Linie entsteht durch das Zurücklegen eines Weges mit einem Zeichengerät auf einem Zeichengrund. Dieser Weg wird interpretiert als eine stetige Abbildung eines reellen Intervalls in einem topologischen Raum. Das Bild dieses Weges heißt in der Mathematik Kurve, Träger oder Spur. Wir nennen es Linie.

Um unsere Betrachtung nicht unnötig zu komp-
lizieren, betrachten wir
den "Punkt" und die "Fläche" als Sonderformen der Linie: ein Punkt ist eine kürzest mögliche Linie. Eine Fläche ist aus abstandslos nebeneinander liegenden Linien zusammengesetzt.

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