Texte aus dem Jahr 2006
Erratische Blöcke, lichte Gefüge
Rundgang durch die Ausstellung "Wucherungen und
eine Gruppenausstellung in
der Städtischen Galerie Nord-
horn, 2006 – mehr hier
Wandnahmen"*
Textausschnitt über Hannes Kater und seine Raum-
zeichnung "Vom wahren Zeichnen im falschen"**
**  mehr zu der Raumzeich-
nung ist hier zu finden.
Mehr zum Katalog hier.

von Jens Asthoff

[...] Hannes Kater entwickelt seine
überbordenden Wand-
zeichnungen
aus symbolischen, teils wissenschaftlichen
Bildwelten heraus. Die schemaartigen Strukturen seiner Wer-
ke wirken wie komplexe Kreislaufdarstellungen aus Biologie-,
Physik- oder Chemielehrbüchern, stecken voller merkwürdi-
ger Bildkürzel, die mal in Schwärmen auftreten, sich mal in
eigenartigen Kombinationen verdichten und wie eine Bilder-
schrift zur Lektüre einladen, dabei aber kaum je den ge-
nauen Sinn auf Anhieb preiszugeben.
Doch man kann die rot beziehungsweise hellblau ausgeführ-
ten Symbole nebst Streifen-, Pfeil- und Wellenformationen
wirklich lesen, wenn man sie denn erst zu lesen weiß.
Die wiederkehrenden Elemente in Katers Bildwelt stehen je-
weils für einen klar umgrenzten, aber trotzdem offenen Be-
deutungsraum; es sind quasi-alphabetisch fixierte Zeichen,
die der Künstler „Darsteller“ nennt, da sie auf Papier wie
auf der Wand stets im Ensemble auftreten, wie auf einer
Bühne aus anderen Linien und Zeichen. Damit sind Katers
fabulierende Entwürfe viel versponnener, verwickelter und
opulenter, um als bloß formale Flächenstrukturierung durch-
zugehen oder in der Kategorie der semantischen Abstraktion.

Sie sind vielmehr von Grund auf erzählerisch, ohne dabei
allerdings auf eindeutige Storylines hinauszulaufen. Wer
den Künstler einmal vor einem seiner Werke hat erklären
und erzählen hören, weiß, dass er aus den zahllosen De-
tails eine wahre Fülle der Bezüge destillieren kann – die
einem meist zwar unmittelbar einleuchtet, die man jedoch
in ihrer teils absurden Komplexität dann kaum mehr wie-
dergeben kann.

Online ist das Zeichenlexikon,
also mein Darstellerlexikon, hier
zu finden
.
Die Elemente sind skurril und originell genug, um daraus
einen wilden Kosmos zu kreieren: Da gibt es Darstel-
ler wie Nr. 12, das Brothirn, der laut Kater für „archaisches
oder instinktgeleitetes Denken“ steht. Oder Nummer 08,
die so genannte Mundkette, mit der „Gerede, Klatsch,
soziale Kontrolle“ visualisiert wird. Auch das Gedanken-
loch
, Darsteller Nr. 11, ist vielseitig verwendbar und
kommt zum Einsatz, wenn es darum geht, „etwas ver-
drängen oder vergessen zu wollen“; es steht aber auch
„für (unbestimmt) negative Ahnungen“; wobei gilt:
„Drehrichtung immer im Uhrzeigersinn!“.

Auch abstraktere Begriffe setzt Kater ins Bild, Form Nr. 26
etwa steht für Ideologie, für „Ausschnitt und beschränktes
Weltbild“. Es ist faszinierend, wie kurios, aber auch treffend
solche Symbolfindungen bei Kater immer wieder ausfallen:
Etwa jenes Brötchen, Nr. 32, das der Künstler auch in Nord-
horn oft verwendet hat und wie folgt beschreibt: „Steht
für Erinnerungen an Gerüche, Essen oder taktile Erfahrun-
gen aus der Kindheit, die aktuell Entscheidungen beeinflus-
sen, etwa in Liebesdingen oder Konsumentscheidungen.“

Dabei zeigen sich auch Nuancierungen, denn es gibt „das
normale“, aber auch „das bewusste Brötchen in drei Vari-
anten mit unterschiedlichen Schattensetzungen – im Be-
wusstsein um die eigene Beeinflussbarkeit durch die qua
Brötchen getroffenen Entscheidungen.“ Dabei gilt: „Je
mehr Schatten, desto bewusster ist einem Protagonisten
ein Brötchen“.
Aus einem ebenso schlüssigen wie halt-
losen Fundus entwickelt Hannes Kater ungemein
komplexe und auch amüsante Zeichenketten
– ein
Deutungsdschungel, durch den es viele Pfade gibt und der
die Betrachter zu ganz eigenen Bilderverknüpfungen an-
regen wird. [...]

Jens Asthoff 2006


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